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Säkulare Positionen gewinnen zunehmend an Bedeutung

gbs-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon über Veränderungen im linksliberalen Spektrum

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Michael Schmidt-Salomon auf dem taz.lab 2016 (Foto: Evelin Frerk)

"Im linksliberalen Spektrum findet ein Umdenken statt: Immer mehr Menschen verabschieden sich von kulturrelativistischen Positionen und treten für eine stärkere säkulare Profilierung der Staates ein." Mit diesen Worten umschrieb gbs-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon seine Eindrücke vom taz.lab 2016 sowie vom Treffen des Bundesvorstands der Grünen mit Vertretern der säkularen Verbände. Der hpd fragte nach. (Veröffentlichung des Interviews auf der gbs-Website mit freundlicher Genehmigung des Humanistischen Pressedienstes)

hpd: Herr Schmidt-Salomon, Sie waren vor kurzem als Podiumsgast beim taz.lab 2016, dem großen Kongress der linksliberalen tageszeitung (taz), eingeladen und ernteten für ihre Beiträge starken Applaus – nicht zuletzt auch für Ihre islamkritischen Kommentare. Das ist insofern ungewöhnlich, da Islamkritik in linksliberalen Kreisen lange Zeit verpönt war und oftmals sogar mit "Rassismus" gleichgesetzt wurde. Hat Sie die positive Reaktion des taz-Publikums überrascht?

Schmidt-Salomon: Eigentlich nicht. Ich stelle schon seit längerem Veränderungen im linksliberalen Spektrum fest.

Mehr und mehr Menschen wird bewusst, dass man die Probleme, die in einigen muslimischen Communities real existieren, nicht dadurch löst, dass man sie ignoriert. Für eine solche Problemverdrängung war das linksliberale Spektrum natürlich besonders anfällig. Denn es gehört nun einmal zu den Wesensmerkmalen linksliberaler Politik, die Rechte von Minderheiten gegen Übergriffe der Mehrheit zu schützen. 

Was an sich auch zu begrüßen ist…

Selbstverständlich! Leider aber wurde dieser Minderheitenschutz so pauschalisiert, dass jede noch so berechtigte Kritik als chauvinistischer Angriff der Mehrheitskultur, als Ausdruck von Fremdenfeindlichkeit, interpretiert wurde.

Diese Denkschablone sorgte dafür, dass in linksliberalen Kreisen kaum jemand wahrhaben wollte, wie stark autoritäre, antisemitische, frauenverachtende oder homophobe Normen in bestimmten muslimischen Communities verankert sind.

Einige linksliberale Politiker trieb dies in absonderlichste Widersprüche: So wollte Volker Beck eine Zeitlang ausgerechnet jene Gruppen stärken, die ihn als bekennenden Schwulen am liebsten ins Gefängnis stecken würden.

Sie sprachen damals von "Becks Schildbürgerstreich"…

Richtig, aber das wollte im Jahr 2007 kaum jemand hören. Glücklicherweise führten kritische Veröffentlichungen von Autorinnen und Autoren wie Necla Kelek, Seyran Ates oder Hamed Abdel-Samad, die selbst aus dem muslimischen Kulturkreis stammen und denen man "Fremdenfeindlichkeit" schwerlich unterstellen kann, dazu, dass derartige Widersprüche stärker wahrgenommen wurden. Und so sehen mittlerweile immer mehr Linksliberale ein, dass es keineswegs progressiv ist, reaktionäre Normen zu verteidigen, bloß weil sie von Minderheiten vertreten werden.

Auf dem taz.lab war deutlich spürbar, wie stark sich die Einsicht verbreitet hat, dass man sich vom Dogma des Kulturrelativismus lösen muss, wenn man den universalistischen Charakter der Menschenrechte verteidigen will. 

Zum Stichwort "Kulturrelativismus" heißt es in der Abschlusserklärung der Kritischen Islamkonferenz von 2013: "Ehrenmorde und Zwangsheiraten sind nicht Ausdruck einer 'anderen' Kultur, sondern Verbrechen, die als solche benannt und unterbunden werden müssen. Homophobe, frauen- und fremdenfeindliche sowie antisemitische Vorstellungen und Verhaltensweisen müssen unabhängig davon, in welcher Gemeinschaft sie auftreten, zurückgedrängt werden."

Ich denke, wir haben das damals gut auf den Punkt gebracht. Mindestens ebenso wichtig war, dass wir auf der Konferenz die strukturellen Gemeinsamkeiten von Islamisten und Muslimfeinden herausarbeiteten und uns ebenso entschieden gegen Islamismus wie gegen Fremdenfeindlichkeit positionierten. Das hat damals zweifellos einige irritiert, die meinten, man müsse sich entweder für das eine oder das andere entscheiden. Ebenso irritierend war für viele wohl, dass an der Formulierung dieser Abschlusserklärung sowohl Ex-Muslime als auch liberale Muslimen beteiligt waren. Damit wurde klar, dass eine progressive, humanistische Kritik, die die reaktionären Normen des politischen Islam ins Visier nimmt, sich selbstverständlich niemals gegen "die" Muslime richtet.

Die Frage, die sich uns stellt, lautet nicht, ob wir "für" oder "gegen" Muslime sind, sondern ob wir die liberalen Muslime in ihrem Kampf gegen Islamisten unterstützen oder ob wir sie weiterhin im Stich lassen, indem wir ihre Probleme ignorieren. Letzteres kann für vernünftig denkende Menschen keine Option sein – und ich bin froh darüber, dass diese Sichtweise in vielen Foren des letzten taz.lab zum Ausdruck kam. Das hätte in früheren Jahren wohl noch deutlich anders ausgesehen.

Zwei Tage nach dem taz.lab nahmen Sie an einem Treffen des Bundesvorstands der Grünen mit Vertretern der säkularen Szene teil. Hat sich dort der positive Eindruck, den Sie auf dem taz.lab gewonnen haben, bestätigt?

Ja. Das Treffen in der Bundesgeschäftsstelle der Grünen fand in einer sehr angenehmen Atmosphäre statt. Wir diskutierten vor allem über den Abschlussberichtsbericht der Grünen-Kommission "Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat", der ja in vielerlei Hinsicht bemerkenswert ist.

Wer hätte denn im Vorfeld dieser Veröffentlichung ernsthaft damit gerechnet, dass sich die Grünen so entschieden zu einem säkularen Leitbild bekennen würden, in dessen Zentrum die weltanschauliche Neutralität des Staates, die Selbstbestimmungsrechte des Individuums und die Durchsetzung von Grundrechten gerade auch gegenüber den Religionsgemeinschaften stehen?

Natürlich hätten wir uns, wie Ingrid Matthäus-Maier ja bereits im hpd darlegte, in einigen Punkten mehr Mut zu echten Reformen gewünscht, aber es ist nicht zu übersehen, dass die Grünen in diesem Papier einige Forderungen aufgreifen, die die säkularen Verbände seit Jahren erheben, etwa die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen, die Aufhebung der verfassungswidrigen Bestimmungen im kirchlichen Arbeitsrecht, die Forderung nach mehr Transparenz bei den Finanzen der Religionsgemeinschaften, eine stärkere Vertretung der Interessen von Konfessionsfreien in den Medien und der Politik, die Abschaffung des Blasphemieparagraphen 166 StGB und vieles andere mehr…

Die meisten dieser Forderungen richten sich gegen Privilegien der christlichen Großkirchen. Nehmen die Grünen denn auch muslimische Gemeinschaften ins Visier?

Der Bericht stellt an mehreren Stellen deutlich heraus, dass die Religionen nicht über dem Gesetz stehen, sondern sich ihm unterordnen müssen. Religiös begründete Grundrechtsverletzungen sollen nicht länger toleriert werden, außerdem wird betont, dass das Recht der Schülerinnen und Schüler auf umfassende Bildung nicht durch religiöse Dogmen eingeschränkt werden darf.

Cem Özdemir hat bei dem Treffen explizit ausgeführt, was dies für den Umgang mit Musliminnen und Muslimen, insbesondere für die Haltung des Staates gegenüber den Islamverbänden bedeuten sollte. Ich hatte den Eindruck, dass ihm sehr bewusst ist, dass die Abschaffung verfassungswidriger Kirchenprivilegien nicht zuletzt auch deshalb geboten ist, weil man Musliminnen und Muslimen nicht mit guten Gründen verwehren kann, was man Christinnen und Christen zubilligt. Können sich die einen über das Gesetz stellen, können das die anderen auch.

Wie mir scheint, haben bei den Grünen doch einige maßgebliche Politiker erkannt, dass das bestehende Religionsverfassungsrecht eine offene Flanke für Fundamentalisten bietet, die geschlossen werden muss.

An dem Kommissionsbericht haben Grüne unterschiedlichster religiöser und weltanschaulicher Herkunft mitgearbeitet. Federführende Leiterin der Kommission war Bettina Jarasch, die sich selbst als "bekennende Katholikin" bezeichnet…

Ja, und genau das macht diesen Kommissionsbericht so wertvoll. Natürlich wäre er noch sehr viel mehr in unserem Sinne ausgefallen, wenn er nur von den Mitgliedern des AK Säkulare Grüne, wie Walter Otte und Mariana Pinzón Becht, verfasst worden wäre, aber unter dieser Voraussetzung hätte er wohl kaum Aussichten, auf dem Bundesparteitag der Grünen angenommen zu werden. Dass sich neben den säkularen eben auch dezidiert religiöse Grüne hinter die Forderungen dieses Papiers stellen, ist ein bemerkenswerter Erfolg und zeigt an, dass man auch im religiösen Lager Mitstreiter für säkulare Positionen finden kann.

Auf dem taz.lab haben Sie das in Anlehnung an ein altes Marx-Zitat auf den Nenner gebracht: "HumanistInnen aller Konfessionen vereinigt euch!"

Schon seit vielen Jahren weise ich darauf hin, dass die entscheidende Differenz nicht zwischen Theisten und Atheisten besteht, sondern zwischen Menschen, die einen dogmatischen Zugang zur Wirklichkeit haben, und solchen, die für eine freie, weltoffene Gesellschaft eintreten.

Man darf hier nicht ins Schubladendenken verfallen: Ob sich eine Person als Jude, Christ, Muslim, Buddhist, Atheist oder Agnostiker bezeichnet, sagt nur wenig darüber aus, was sie tatsächlich denkt. So wissen wir ja schon lange, dass die Mehrheit der Kirchenmitglieder mit vielen Aspekten der offiziellen Kirchenpolitik keineswegs einverstanden ist.

In einer aktuellen Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, kam heraus, dass 64 Prozent der Kirchenmitglieder die von konfessionellen Einrichtungen betriebene religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz ablehnen…

… und diese Zahl wäre noch ein gutes Stück höher, wenn sämtliche Befragten darüber Bescheid gewusst hätten, dass die Kirchen in vielen Fällen zum Unterhalt dieser Einrichtungen keinen einzigen Cent beisteuern…

Ist es nicht bemerkenswert, dass die Antidiskriminierungsstelle des Bundes diese Frage aufgreift und das Jahr 2016 zum "Themenjahr gegen Diskriminierung wegen der Religion oder Weltanschauung" erklärt hat? Das klingt beinahe so, als wolle die Antidiskriminierungsstelle des Bundes der Kampagne "Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz" (GerDiA) Konkurrenz machen, die 2012 vom IBKA und der GBS ins Leben gerufen wurde…

Ich würde das nicht "Konkurrenz" nennen. Wir sollten uns darüber freuen, dass die Relevanz des Themas allmählich erkannt wird und die Antidiskriminierungsstelle in dieser Frage Kontakt zu den Ansprechpartnern der GerDiA-Kampagne aufgenommen hat.

Ohnehin würde es nicht schaden, wenn die säkulare Szene ihre eigenen Erfolge stärker wahrnehmen würde. Natürlich kann man sich bitter darüber beklagen, dass so vieles noch immer schiefläuft, aber man sollte dabei nicht übersehen, was sich in den letzten Jahren zum Positiven hin verändert hat. 

Säkulare Positionen finden heute zweifellos sehr viel mehr Gehör als noch vor 10 Jahren, religiöse Dogmen wie auch die Privilegien der Religionsgemeinschaften werden sehr viel deutlicher in Frage gestellt, der Druck auf die Kirchen zum Beispiel ist mittlerweile so stark, dass sie von sich aus auf einige Privilegien verzichten, man denke etwa an das Recht auf Mitsprache bei der Besetzung der sogenannten Konkordatslehrstühle in Bayern…

Aber es gab in der letzten Zeit durchaus auch Rückschritte, beispielsweise das gesetzliche Verbot der organisierten Suizidassistenz…

Richtig, das vom Bundestag beschlossene "Sterbehilfeverhinderungsgesetz", wie ich es bezeichne, war eine herbe Niederlage. Andererseits sollte man auch hier das Positive nicht übersehen: Denn hinter unseren Positionen zur "Letzten Hilfe" stand nicht nur eine überwältigende Bevölkerungsmehrheit, auch im Deutschen Bundestag gab es viele Fürsprecher.

Schaut man sich die Bundestagsabstimmung etwas genauer an, erkennt man, dass es nur in der CDU/CSU-Fraktion ein klares Votum gegen professionelle Freitodbegleitungen gab, während die Parlamentarier aller anderen Fraktionen mehrheitlich gegen das neue Gesetz gestimmt haben. Dass dies auch bei der SPD-Fraktion der Fall war, verbuche ich als Erfolg. Damit hätte man im Vorfeld der Debatte nicht unbedingt rechnen können... 

Sie meinen also, wir sollten die Messlatte für Erfolg und Misserfolg etwas niedriger hängen?

So könnte man es vielleicht formulieren. Vor allem geht es mir darum, dass wir die insgesamt doch recht ermutigende gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahre nicht aus den Augen verlieren und zu einer realistischen Einschätzung der Zeiträume finden, die es nun einmal braucht, um nachhaltige politische Veränderungen herbeizuführen.

Insgesamt sind wir auf einem guten Weg, auch wenn wir noch ein paar dicke Bretter bohren müssen. In dieser Hinsicht sollten wir "brennende Geduld" aufbringen und uns davor hüten, zu viel zu schnell zu erwarten, denn andernfalls würde uns wahrscheinlich schon auf halber Strecke die Luft ausgehen…

Herr Schmidt-Salomon, herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Interview führten Frank Nicolai und Florian Chefai für den hpd.