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„Das Leben ist ungerecht, aber schön“

Die Humanistin und gbs-Beirätin Fiona Lorenz starb mit 51 Jahren in Potsdam

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Foto: Evelin Frerk

Mehr als dreizehn Jahre hat sie gegen die immer wieder neu auftretenden Tumore in ihrem Körper angekämpft, am Dienstagmorgen ist die Sozialwissenschaftlerin und Autorin Fiona Lorenz im Alter von 51 Jahren in Potsdam gestorben. Ein Nachruf von Michael Schmidt-Salomon.

Mit kaum jemandem habe ich so viel diskutiert, gefeiert und durchlitten. Fiona war nicht nur eine meiner besten Freundinnen, sondern zählte auch zu meinen wichtigsten intellektuellen Weggefährtinnen. Sie hat jedes meiner Bücher vorab gelesen und mit klugen Ratschlägen verbessert. Noch eine Woche vor ihrem Tod, als das Ende bereits absehbar war, fand sie die Kraft, ein neues Buchmanuskript zu korrigieren, das in den nächsten Monaten erscheinen wird. Ich habe kaum einen Menschen getroffen, der so tapfer, so mutig, so engagiert war wie sie. Fiona ließ sich nicht unterkriegen, auch wenn ihr das Leben übel mitspielte, was leider oft der Fall war. Ihr phänomenales Durchhaltevermögen, ihren unbedingten Willen zum aufrechten Gang, habe ich stets bewundert.

Wir hatten uns vor 25 Jahren während des Studiums kennengelernt und merkten schnell, dass wir auf einer Wellenlänge lagen. Schon nach wenigen Wochen gründeten wir einen philosophischen Gesprächskreis, in dem wir über Kant, Nietzsche, Schopenhauer, Einstein oder Freud diskutierten. Wenig später organisierten wir mit dem „Trierer Institut für angewandtes Denken“ ein vielbeachtetes Symposium zum 175. Geburtstag von Karl Marx. Fiona war auch dabei, als wir mit dem „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ abstrakte Themen wie „soziale Gerechtigkeit“ oder „Bürgerpartizipation“ auf die Straße brachten. Nur mit dem Thema „Religionskritik“ konnte sie zunächst wenig anfangen. Da sie sich schon in ihrer Kindheit von sämtlichen religiösen Vorstellungen befreit hatte, war es für sie schlicht unvorstellbar, dass erwachsene Menschen Glaubensüberzeugungen folgen könnten, die so offenkundig gegen alle Vernunft verstoßen.

Mitte der 2000er Jahre erkannte sie jedoch, dass sie unzulässig von sich auf andere geschlossen hatte. Innerhalb kürzester Zeit arbeitete sie sich in die religionskritische Literatur ein.  Ab 2005 engagierte sie sich in der Giordano-Bruno-Stiftung, 2007 zählte sie zu den ersten Redakteurinnen des Humanistischen Pressedienstes, 2009 übernahm sie dort die Funktion der stellvertretenden Chefredakteurin. Im gleichen Jahr brachte sie im Rowohlt-Verlag das Buch „Wozu brauche ich einen Gott? Gespräche mit Abtrünnigen und Ungläubigen“ heraus, zu dem Ralf König die Illustrationen beisteuerte. Neben ihrer Tätigkeit im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung war Fiona Mitbegründerin des Humanistischen Verbands Rheinland-Pfalz, der Luxemburger Allianz der Humanisten, Atheisten und Agnostiker, aktives Mitglied der gbs-Regionalgruppe Trier und, nach ihrem Umzug nach Potsdam, der evolutionären Humanisten Berlin-Brandenburg.

In gewisser Hinsicht hatte Fiona Glück gehabt: Sie hatte eine wunderbare Ausstrahlung, einen messerscharfen Verstand, vielseitige Talente und großen Mut, Neues zu wagen. Ich erinnere mich gut daran, wie sie 2006 als Regisseurin eine beeindruckende Inszenierung der „Vagina-Monologe“ auf die Bühne brachte, ohne zuvor Erfahrungen in der Theaterarbeit gesammelt zu haben.  Fünf Jahre zuvor hatte sich allerdings schon ein Schatten über ihr Leben gelegt, den sie nie wieder loswerden sollte. Mit 38 Jahren wurde Brustkrebs bei ihr diagnostiziert, es folgten die erste OP und Chemotherapie. Drei Jahre später erkannten die Ärzte eine Aderhautmetastase, einen besonders aggressiven Tumor, der bei vielen Patienten zu einem raschen Tod führt. Fiona aber überlebte.

2009 erzählte sie mir am Telefon von einer erschütternden neuen Diagnose ihres Arztes: Die Tumore hatten sich in ihrem gesamten Körper ausgebreitet.  „Das Leben ist ungerecht, aber schön!“, sagte sie damals. Der Satz hat sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt und ich habe ihn später auch in mein Buch „Hoffnung Mensch“ aufgenommen. Als Liebhaberin qualitativ hochwertiger Fernsehserien begann Fiona nun, ihre Chemotherapien in Staffeln und Episoden einzuteilen. Am Schluss war sie bei Staffel 16 angelangt.

In einem Zustand, in dem die allermeisten Menschen nur noch im Bett liegen, raffte sie sich zu einer Bahnreise auf, um ihre jüngste Tochter Lilias (die „Susie Neunmalklug“ aus dem gleichnamigen gbs-Video) ein letztes Mal zu besuchen. Danach waren ihre Kräfte aufgebraucht. Ihre Tochter Merle, ihre beste Freundin und ich begleiteten sie in den letzten Stunden. Fiona starb ebenso tapfer und aufrecht, wie sie gelebt hatte. Wir werden sie nie vergessen.