Fundamentalisten dürfen nicht über Interessen der Mehrheit bestimmen!
gbs unterstützt Aktionstag gegen den „Marsch für das Leben“ am 19. September in Berlin
Unter dem Motto „Mein Körper – Meine Verantwortung – Meine Entscheidung“ rufen mehr als 30 Organisationen (neben der gbs u.a. HVD, LSVD, pro familia, terre des femmes, GEW, Teile der SPD, der Grünen und der Linken) zu einem Aktionstag gegen den diesjährigen „Marsch für das Leben“ am 19. September 2015 in Berlin auf. Wie in den vorangegangenen Jahren wirbt der „Marsch für das Leben“ für eine stärkere Berücksichtigung christlich-fundamentalistischer Moralvorstellungen in Politik und Gesellschaft. Ziel der selbsternannten „Lebensschützer“ ist eine christlich inspirierte Bevormundungspolitik, insbesondere der Kampf für ein Verbot des Schwangerschaftsabbruchs und der aktuell (noch) legalen Formen der Sterbehilfe, vor allem des ärztlich assistierten Suizids.
Die christlichen „Lebensschützer“ repräsentieren zwar nur einen kleinen Teil der deutschen Bevölkerung (weniger als 10 Prozent), haben jedoch großen Einfluss auf die Politik. Man erkennt dies bereits daran, dass in der Vergangenheit nicht nur Kirchenvertreter wie Papst Franziskus, Kardinal Marx oder Kardinal Meisner Grußworte zum „Marsch für das Leben“ beisteuerten, sondern auch Politiker wie Volker Kauder, Wolfgang Bosbach, Annette Schavan, Alois Glück und Karl-Theodor zu Guttenberg. Dass der diesjährige Marsch nicht nur von zahlreichen christlich-fundamentalistischen Organisationen, sondern auch von der Jungen Union Deutschlands unterstützt wird, spricht ebenfalls eine klare Sprache.
Christliche Lobbyisten bestimmen die deutsche Politik
Dem Einfluss der christlichen Lobbyisten ist es auch zu verdanken, dass derzeit die Mehrheit der deutschen Parlamentarier gegen den Willen der Bevölkerung und gegen die Mehrheitsvotum der Experten (Juristen wie Mediziner) für die Einführung eines neuen Strafgesetzes votiert, das die bislang legale Hilfe beim Suizid, also die Unterstützung von schwerstleidenden Menschen, die ihrem Leben selbstbestimmt ein Ende setzen wollen, mit Gefängnisstrafen bedroht. Autoren des rigidesten Gesetzesentwurfs, der derzeit im Parlament diskutiert wird, sind MdB Patrick Sensburg (CDU) und MdB Hubert Hüppe (CDU) – zwei der langjährigen Unterstützer des „Marschs für das Leben“.
Wie man den Materialien auf der Website der Organisatoren entnehmen kann, wird der „Marsch für das Leben“ in diesem Jahr einen besonderen Schwerpunkt auf das angestrebte Verbot der Suizidhilfe legen. (Interessant an dieser Materialsammlung ist auch, dass sie ein eigenes Papier enthält, das sich explizit gegen Peter Singer und die Giordano-Bruno-Stiftung richtet, was einige oft übersehene Hintergründe der Anti-Singer-Proteste in diesem Jahr aufdeckt.) Neben dem Schwerpunkt „Suizidhilfe-Verbot“ wird der „Marsch für das Leben“ aber selbstverständlich auch sein traditionelles Ziel, die europaweite Abschaffung und Bestrafung aller Schwangerschaftsabbrüche, verfolgen, womit allen europäischen Frauen und Mädchen das Recht auf Selbststimmung über Leben und ihren Körper genommen werden soll.
Aufruf zum Widerstand
Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung ruft deshalb dazu auf, dem reaktionären Aufmarsch der christlichen Moralisten entgegenzutreten und ihren zunehmenden politischen und gesellschaftlichen Einfluss zu stoppen. Lassen wir es nicht zu, dass eine kleine Minderheit von religiösen Fundamentalisten über die Interessen der Mehrheit bestimmt!
Der Aktionstag „Leben und Lieben ohne Bevormundung“ beginnt am 19.9. um 11.30 Uhr mit einer Kundgebung vor dem Brandenburger Tor. Weitere Informationen zum Aktionstag finden sich auf der Website www.sexuelle-selbstbestimmung.de.
Hinweis: Auf der Website des Bündnisses findet sich ein Header, der u.a. eine Frau mit Kopftuch zeigt. Daraus wurde in den sozialen Netzwerken fälschlicherweise gefolgert, die gbs würde neuerdings eine „Pro-Kopftuch-Politik“ unterstützen. Davon kann jedoch keine Rede sein. Die Wahl des Motivs zeigt unseres Ermessens (die gbs war in die Gestaltung der Website nicht direkt involviert), dass man die Positionen der „Lebensschützer“ auch als religiöser Mensch kritisieren kann. Die politische Botschaft lautet: Die Gruppe der Kritiker der „Lebensschützer“ ist sehr viel größer als nur die Gruppe der religiös ungebundenen Menschen! Nicht zuletzt richtet sich das Bildmotiv gegen die gefährliche Anmaßung religiöser Verbände, „im Namen aller Gläubigen“ sprechen zu können – eine manipulative politische Strategie, auf die niemand hereinfallen sollte, siehe hierzu auch die gbs-Broschüre „Selbstbestimmung statt Gruppenzwang“ (deren Cover man nun wirklich nicht im Sinne einer vermeintlichen „Pro-Kopftuch-Politik“ interpretieren kann).