Effektiver Altruismus
Wie kann das Leben möglichst vieler empfindungsfähiger Wesen verbessert werden?
Der effektive Altruismus (EA) ist eine Philosophie und eine soziale Bewegung, die darauf abzielt, die beschränkten Ressourcen Zeit und Geld optimal einzusetzen, um das Leben möglichst vieler empfindungsfähiger Wesen möglichst umfassend zu verbessern. Gemeinsam mit der gbs-Schweiz hat die Giordano-Bruno-Stiftung Deutschland nun ein Projekt zum Effektiven Altruismus auf den Weg gebracht.
Die Grundidee des Effektiven Altruismus besteht darin, die eigenen Ressourcen so einzusetzen, dass sie den größten positiven Impact generieren. So geht es beim "klugen Spenden" um die Kosteneffektivität von Hilfsorganisationen, d.h. um die Frage, wie viel Gutes pro Geldeinheit bewirkt wird, wie viele Leben etwa gerettet werden können. Diese Frage wurde in den vergangenen Jahren intensiv erforscht: Die ÖkonomInnen, MathematikerInnen und PhilosophInnen von Hilfswerk-Evaluatoren wie "GiveWell" haben hunderte Hilfsorganisationen wissenschaftlich untersucht und kamen zum Schluss, dass für die Wirksamkeit vieler Hilfsmaßnahmen überhaupt keine Evidenz existiert und einige Hilfswerke um mehrere Größenordnungen effektiver sind als andere.
Mehr und mehr Menschen erkennen, dass sie bereits mit einem durchschnittlichen Einkommen die real bestehende Möglichkeit haben, hunderte Menschen zu retten und Abertausenden zu helfen. Viele schließen sich daher EA-Organisationen wie der vom gbs-Preisträger Peter Singer gegründeten Organisation "The Life You Can Save" an. Manche spenden 5% ihres Einkommens, andere 10, 20 oder gar 50%, und wieder andere alles über einem bestimmten Schwellenwert.
Schon kleine Spenden können große Wirkung entfalten. Schon mit einer Spende von 200 Euro kann man mehrere hundert (!) Kinder vor schlimmen Wurmkrankheiten schützen, was sich nachweislich überaus positiv auf Bildung und Wirtschaft auswirkt – und zwar positiver als direkte Bildungsinterventionen. Oder man kann mit ihr einer progressiven NGO helfen, eine zusätzliche Stelle zu schaffen. Solche "Meta-Spenden" an NGO-Stellen bewirken unter Umständen mehr als "direkte Spenden", da effektive NGOs die politischen, sozialen und ökonomischen Ursachen des Leids beseitigen und zudem viele weitere Menschen zum Spenden motivieren können.
Effective Altruism (EA) war ursprünglich ein Gemeinschaftsprojekt der Giordano-Bruno-Stiftung und der gbs-Schweiz. Inzwischen ist aus der gbs-Schweiz die "Stiftung für Effektiven Altruismus" (EAS) hervorgegangen. Ende 2017 hat die gbs das Projekt vollständig an die EA-Stiftung übergeben. Weitere Spenden, die bei der gbs noch für das Projekt eingehen, werden für das ehemalige EA-Projekt "Grundrechte für Menschenaffen" ("Great Ape Project") eingesetzt. Informationen darüber, wie Sie effektiv-altruistisch spenden können, finden Sie ab sofort auf der Homepage der EAS: http://ea-stiftung.org/
Spenden als rationale Wahl
Spenden wir als Durchschnittsverdiener 10% unseres Einkommens, gehören wir nach wie vor zum erlesenen Kreis der reichsten Menschen, die jemals auf diesem Planeten gelebt haben. Zudem legen psychologische Studien nahe, dass das Spenden eine Form der Geldausgabe ist, die den Spender selbst glücklicher macht. Am wichtigsten aber: Unsere Einbußen scheinen unbedeutend, wenn man sie mit dem vergleicht, was auf der anderen Seite auf dem Spiel steht: Ziehe ich eine Welt vor, in der ich 10% mehr Geld habe und hunderte Menschen aufgrund fehlender Versorgung sterben – oder eine Welt, in der ich 10% weniger verdiene und hunderte Menschen vor Leid bewahrt werden? Beim Geldausgeben bzw. beim Erstellen meines Monatsbudgets wähle ich zwischen diesen künftigen Welten.
Peter Singer hat dazu das Gedankenexperiment vom "ertrinkenden Kind" formuliert: Angenommen, ich spaziere an einem Teich vorbei und bemerke, dass ein Kind im Begriffe ist, darin zu ertrinken. Weiter bemerke ich, dass die (Nicht-)Rettung des Kindes von meiner Entscheidung abhängt: Ich kann gefahrlos in den Teich waten und das Kind herausziehen. Die einzige Komplikation: Der 500 Euro teure Anzug, den ich zufällig gerade trage, wäre danach unbrauchbar – ich müsste ihn ersetzen, also 500 Euro aufwenden, die ich ansonsten für zusätzlichen persönlichen Luxus ausgegeben hätte. Verzichte ich auf 500 Euro und rette das Kind – oder nicht?
Die meisten Menschen würden (glücklicherweise) nicht zögern, das Kind zu retten. Dies drückt das humanistische Urteil aus, dass uns 500 Eigenluxus-Euro weniger wichtig sind als die Rettung eines Kindes. Wenn wir aber so urteilen, dann wäre es logisch widersprüchlich und irrational, in der Spendenfrage anders zu urteilen. Denn auch dort stellt sich die Frage, was wichtiger ist: das Verhindern von Leid und Tod anderer oder zusätzliche Geldbeträge für uns selbst, die wir zur Deckung unserer Bedürfnisse eigentlich gar nicht brauchen.
EA-Organisationen und -Projekte
Das Ziel des Projekts Effective Altruism (EA) besteht unter anderem darin, die Idee des effektiven Spendens bekannt zu machen und eine EA-Bewegung aufzubauen. Dazu unterstützt das Projekt kosteneffektive Hilfsorganisationen und altruistische Meta-Projekte. Derzeit werden u.a. folgende EA-Organisationen unterstützt:
GiveWell (GW)
GiveWell ist ein Meta-Hilfswerk, das die Kosteneffektivität von Hilfswerken evaluiert, die die Weltarmut bekämpfen. Die von GiveWell am besten eingestuften Hilfsorganisationen sind transparent, wissenschaftlich gut belegt und haben “room for more funding”, d.h. sie können weitere Spenden effektiv nutzen. Mit seinem neueren Projekt GiveWell Labs hat GiveWell sein Tätigkeitsfeld erweitert und forscht auch zu Hilfsmöglichkeiten ausserhalb des Bereichs der Weltarmut.
Deworm the World (DtW)
DtW hat in 27 Ländern über 600 Millionen Entwurmungsbehandlungen bei Schulkindern durchgeführt. Die Entwurmungen wirken sich nicht nur unmittelbar positiv auf die Gesundheit aus; sie erhöhen auch die Zahl der Unterrichtsbesuche der Kinder, die sonst krank zuhause bleiben müssten, was nachhaltige Fortschritte in der Bildung und der Wirtschaft bewirkt (behandelte Kinder sind weniger häufig analphabetisch und haben später um 23% höhere Einkommen). DtW ist derzeit eines der von GiveWell bestbewerteten Hilfswerke.
Schistosomiasis Control Initiative (SCI)
Die Effektivität der SCI ist durch grosse Studien und nationale Kontrollprogramme sehr gut belegt. Sie arbeitet im Bereich der vernachlässigten tropischen Krankheiten (neglected tropical diseases, NTDs) und richtet Verwaltungsprogramme ein, um breit angelegt günstige Behandlungsmöglichkeiten (meistens Entwurmungen) zu organisieren. Wie andere Deworming-Hilfswerke, fördert die SCI nicht nur die Gesundheit, sondern erhöht indirekt auch die Anwesenheit der Kinder in der Schule. Sie ist derzeit ebenfalls eine der von GiveWell top-eingestuften Hilfsorganisationen.
GiveDirectly (GD)
GiveDirectly überweist Geld direkt an extrem arme Menschen in Kenya und Uganda, die es dann für die für sie wichtigsten Zwecke nutzen. Die Daten legen nahe, dass die Überweisungen in den begünstigten Haushalten zu grossen Einkommenssteigerungen führen. Das Geld wird z.B. in die Unterkunft, wichtige Geräte oder in die Ausbildung der Kinder investiert. Auch GiveDirectly zählt derzeit zu den Hilfswerken, die GiveWell für besonders kosteneffektiv hält.
Against Malaria Foundation (AMF)
Malaria tötet jedes Jahr mehr als eine Million Menschen. Die AMF verteilt mit Insektiziden behandelte Bettnetze, um Familien nachts zu schützen, wenn die Mücken am aktivsten sind. GiveWell hat im letzten Jahr die Spenden-Empfehlung für die AMF vorübergehend zurückgezogen, weil sie weitere Spenden nicht mehr effektiv nutzen konnte. Da die AMF kürzlich Verträge für weitere Netzverteilungen abgeschlossen hat, wird sie jedoch bei der nächsten Aktualisierung der Empfehlungen wieder aufgenommen werden.
Animal Charity Evaluators (ACE)
ACE ist das Pendant zu GiveWell für den Tierbereich, evaluiert also die Kosteneffektivität von Animal Charities und berät SpenderInnen, Hilfswerke, Berufstätige und Freiwillige bezüglich effektivem Tierrechtsengagement. Aufgrund ihrer Forschung kommen sie aktuell zum Schluss, dass ein Einsatz gegen die Nutztierhaltung pro Geldeinheit am meisten Leid verhindert. Während gewisse Formen der Tierrechtsarbeit pro gerettetes Tier hunderte oder tausende von Dollars kosten (z.B. Tierheime und Gnadenhöfe), braucht es nur einen Bruchteil der Kosten, um Leute davon zu überzeugen, sich tierfreundlicher zu ernähren und dadurch hunderte von Tierleben zu retten. In diesem Zusammenhang hat ACE auch aufgezeigt, dass irrationalerweise fast alle Tier-Spenden an Haustiere gehen, während fast alle Tiere, die wir unnötig schädigen, “Food-Tiere” sind.
Auch die gbs hat selbst bereits Projekte entwickelt, die altruistisch vermutlich sehr effektiv sind. Hier sind etwa das Great Ape Project zu nennen sowie das Projekt "Sentience Politics" der gbs Schweiz.
Sentience Politics (SP)
Sentience setzt sich auf politischer Ebene für das Wohl aller empfindungsfähigen Wesen ein. "Sentience" bezeichnet das Bewusstsein bzw. die Empfindungsfähigkeit – und insbesondere die Fähigkeit, Glück und Schmerz, Freude und Leid zu empfinden. Neben Menschen besitzen auch nicht-menschliche Tiere diese Fähigkeit. Sie begründet wesentlich, warum wir von Rechten profitieren können und in ihrer Abwesenheit geschädigt werden. Das grundlegende Ziel des Projekts Sentience Politics ist es, Strukturen zu verändern, die unnötiges Leid erzeugen. Weil die Nutztierhaltung auf unserem Planeten eine der größten Leidquellen darstellt – jährlich werden rund 60 Milliarden Tiere geschlachtet, die meisten nach einem leidvollen Leben in einer Tierfabrik –, lanciert Sentience derzeit politische Initiativen für mehr vegetarische und vegane Menüs in öffentlichen Kantinen. Aufgrund ihrer Thematik (im kulinarischen Bereich kann mit vergleichsweise geringem Aufwand sehr viel Leid reduziert werden), aufgrund der beträchtlichen Medienaufmerksamkeit, die sie generieren, und aufgrund des Hebeleffekts der Politik sind sie wahrscheinlich effektiv. Das Projekt Sentience Politics wird in der Schweiz von zahlreichen Persönlichkeiten aus Gesellschaft und Politik unterstützt, unter anderem von mehreren BundesparlamentarierInnen sowie von einem ehemaligen Regierungsmitglied.
Die gbs-Schweiz hat für die Idee des Effektiven Altruismus eine Gruppe von Menschen begeistern können, die von Berufswegen in besonderem Maße auf den rationalen Einsatz von Mitteln achten, nämlich professionelle PokerspielerInnen. Mit ihnen zusammen gründete die gbs-Schweiz die Mata-Hilfsorganisation REG (Raising for Effective Giving).
Raising for Effective Giving (REG)
REG ist eine von der gbs-Schweiz mitinitiierte Organisation von und für professionelle PokerspielerInnen, die einen signifikanten Teil ihrer Gewinne an die kosteneffektivsten Hilfsorganisationen spenden wollen. Das Ziel von REG ist es, die Idee des effektiven Spendens in der Poker-Community (und darüber hinaus) zu verbreiten. Die Pokerwelt ist hierfür besonders erfolgsversprechend, da Pokerprofis erkennen, dass sich die Rationalitäts-Skills, die es beim Pokern zur Maximierung des erwarteten Geldwerts braucht, perfekt auf die Maximierung des erwarteten altruistischen Impacts von Spenden übertragen lassen. Rund 50 Pokerprofis haben sich REG bereits angeschlossen. Das Projekt wurde im Juli dieses Jahres an der "World Series of Poker" in Las Vegas lanciert und hat in der Pokerwelt großen Eindruck gemacht. Daniel Negreanu, der erfolgreichste Live-Pokerspieler aller Zeiten, hat seine Anerkennung in mehreren Tweets ‒ mit Bezug darauf, dass viele der involvierten PokerspielerInnen Deutsche sind ‒ wie folgt ausgedrückt: "Couldn't be more impressed with the consciousness of "The Germans". They really get it and are starting something big with REG."