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„Die AfD ist die Speerspitze des christlichen Fundamentalismus“

Interview mit Michael Schmidt-Salomon über die neuen Strategien christlicher Rechtspopulisten

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Foto: Evelin Frerk

Gemessen am Bevölkerungsdurchschnitt sind konfessionsfreie Menschen auf PEGIDA-Demos seltener anzutreffen als Christen, wie hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg unlängst darlegte, dennoch ist es befremdlich, wie viele religionsungebundene Menschen auf die Parolen christlicher Rechtspopulisten hereinfallen. Der hpd sprach hierzu mit dem Philosophen Michael Schmidt-Salomon, der die Strategien des rechten christlichen Spektrums als Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung aufmerksam verfolgt. Wir veröffentlichen das Interview auf der gbs-Website mit freundlicher Genehmigung des Humanistischen Pressedienstes.

hpd: Herr Schmidt-Salomon, laut Umfrageergebnissen würden momentan deutlich mehr als 10 Prozent der Deutschen die rechtspopulistische AfD wählen. Was kann man tun, um einen solchen Erfolg, der wohl gravierende Folgen für die deutsche Politik hätte, zu verhindern?

Michael Schmidt-Salomon: Um diese Frage zu beantworten, sollte man sich die Strategie der Rechtspopulisten vor Augen führen, die darin besteht, mit halben Wahrheiten ganze Erfolge zu erzielen. Um diese Strategie zu durchkreuzen, gibt es ein probates Mittel: Gib Demagogen Recht, wo sie Recht haben, und kritisiere sie dort, wo sie die Wirklichkeit verzerren! Völlig verkehrt ist es dagegen, unbequeme Wahrheiten unter den Teppich zu kehren, wie das in der Vergangenheit allzu oft passiert ist.  Mit solchen Verschleierungsmanövern stärkt man radikale Kräfte viel eher, als dass man sie schwächt. Denn auf diese Weise liefert man ihnen die Munition, um mit großem Getöse gegen "das Establishment" und die vermeintliche "Lügenpresse" in die Schlacht zu ziehen.

Sie sagten, man müsse Demagogen Recht geben, wo sie Recht haben. Wo hat denn die AfD Recht?

Die AfD hat zu Recht darauf hingewiesen, dass man die Gefahr des islamischen Faschismus nicht verdrängen darf und eine Appeasement-Politik gegenüber Fundamentalisten fatale Konsequenzen hätte. Es ist ein verhängnisvoller Fehler, dass die offizielle deutsche Politik auf diesem Gebiet bislang so wenig Kante gezeigt hat. Wir müssen die offene Gesellschaft sehr viel entschlossener gegen ihre Feinde verteidigen – nicht zuletzt gegen diejenigen, die das Grundgesetz durch die Scharia ersetzen wollen! Das heißt selbstverständlich nicht, dass es gerechtfertigt wäre, Muslime unter Generalverdacht zu stellen, wie das in AfD-Kreisen häufig geschieht! Viele Muslime sind ja gerade deshalb nach Deutschland geflüchtet, weil sie in einer offenen Gesellschaft leben möchten, statt in einer islamistischen Diktatur. Selbstverständlich sollten wir Menschen, die individuelle Freiheitsrechte wertschätzen, mit offenen Armen empfangen. Allerdings dürfen wir uns eine solche "Willkommenskultur" gegenüber den Feinden der offenen Gesellschaft nicht erlauben, da dies über kurz oder lang zum Untergang des Rechtsstaats führen würde.

Könnte es sein, dass die AfD bei einigen konfessionsfreien Menschen gerade deshalb so gut ankommt, weil sie in ungewohnter Schärfe fordert, dass sich Muslime den staatlichen Normen zu unterwerfen haben?

Ja, das ist ein wichtiger Aspekt. Viele Bürgerinnen und Bürger leben mittlerweile so religionsfern, dass sie mit einer offen zur Schau gestellten Religiosität nichts mehr anfangen können. Religiöser Glaube wird zunehmend als Bedrohung wahrgenommen, was angesichts der Gräueltaten, die im Namen der Religion begangen wurden und werden, nicht verwunderlich ist. In dieser Situation konnte die AfD dadurch punkten, dass sie unmissverständlich klarstellte, dass der Islam nicht über dem Gesetz steht, was bei den anderen Parteien, die gegenüber den lslamverbänden einen Schmusekurs einlegten, längst nicht so deutlich rüberkam.

Die Ignoranz der etablierten Parteien in der Islamdebatte führte also zum Aufstieg der AfD?

Ja. Fälschlicherweise geriet die AfD dadurch in den Ruf, eine Partei zu sein, die den säkularen Rechtsstaat gegen religiöse Dominanzmanöver verteidigt. In Wahrheit ist jedoch das glatte Gegenteil der Fall, denn die AfD ist die Speerspitze des christlichen Fundamentalismus in Deutschland. Wer meint, die AfD wählen zu müssen, um die Privilegien der Religiösen zurückzudrängen, macht den Bock zum Gärtner. Es ist kein Zufall, dass führende Vertreter der AfD aus der evangelikalen Bewegung bzw. dem rechtskatholischen Spektrum stammen. Diese vermeintlichen "Retter des Abendlandes" bekämpfen den lslamismus nicht, um die offene Gesellschaft gegen ihre Feinde zu verteidigen, sondern um den erzreaktionären, illiberalen Normen der christlichen Rechten zum Durchbruch zu verhelfen.

In der öffentlichen Debatte hört man davon wenig …

Aus gutem Grund, denn die Fundamentalisten innerhalb der AfD wissen nur zu gut, dass eine offen christlich-fundamentalistische Partei in Deutschland kaum Wählerstimmen erhalten würde. Nach den Misserfolgen der "Partei bibeltreuer Christen" oder der "Partei der christlichen Mitte" verfolgt die christliche Rechte seit geraumer Zeit eine neue politische Strategie, die darin besteht, die religiösen Hintergründe ihrer Kampagnen zu verschleiern. Sie besetzen zwar noch immer die gleichen "christlichen Kampfgebiete", etwa den "Schutz der Familie" oder den "Schutz des Lebens", geben dem Ganzen jedoch einen scheinbar säkularen Anstrich, auf den leider viele hereinfallen.
 

Widerstand gegen den liberalen Zeitgeist

Das ist offenbar auch dem evangelischen Theologen Andreas Fincke passiert. Im Deutschlandfunk verstieg er sich unlängst zu der (als rhetorische Frage getarnten) Aussage, dass "die aktuelle laizistische, kirchenkritische Bewegung sich im Augenblick in der AfD versammelt", was man daran erkennen könne, dass die Partei den staatlichen Einzug der Kirchensteuer ablehne…

Eine groteske Fehldeutung! Andreas Fincke übersah (oder verschwieg?) bedauerlicherweise, dass Evangelikale und Rechtskatholiken die Kirchensteuer schon seit vielen Jahren ablehnen, weil sie die enge Anbindung der Kirchen an den Staat als eine Gefahr für die Glaubensfestigkeit ihrer Mitglieder interpretieren. In ihren Augen sollten die Kirchen unabhängige Kampforganisationen des Glaubens sein, die als staatsferne Institutionen Widerstand gegen den liberalen, als "kulturzersetzend" empfundenen Zeitgeist leisten.

Die Tatsache, dass eine Partei gegen Kirchensteuern argumentiert, muss also keineswegs bedeuten, dass sie für eine säkulare Gesellschaft kämpft?

Nein. Es gibt einen "christlich-fundamentalistischen Laizismus", der genau das Gegenteil erreichen will! Im Fall der AfD ist es offensichtlich, dass die Abschaffung der Kirchensteuer den rechtskonservativen, AfD-nahen Strömungen innerhalb der Kirchen weiteren Auftrieb geben soll. Wer die Hintergründe dieses "christlich-fundamentalistischen Laizismus" nicht versteht, kann leicht dem Fehlschluss unterliegen, es handle sich bei der AfD um eine kirchenfeindliche Partei. Tatsächlich jedoch steht die AfD felsenfest an der Seite jener christlichen Reaktionäre, die mit ihren liberaleren Glaubensbrüdern und -schwestern schon seit langem eine erbitterte Auseinandersetzung um die religiöse und politische Deutungshoheit führen.

Wenn schon ein Spezialist für Weltanschauungsfragen wie Andreas Fincke diese Zusammenhänge nicht durchschaut, muss man sich wohl nicht darüber wundern, dass konfessionsfreie Wählerinnen und Wähler fälschlicherweise glauben, in der AfD eine Heimat gefunden zu haben, oder?

Richtig. Es gibt sogar AfD-Funktionäre, die die Macht des christlich-fundamentalistischen Flügels innerhalb ihrer Partei völlig unterschätzen! Wie es scheint, ist die Strategie der Verschleierung der religiösen Hintergründe bestens aufgegangen. Es hat sich offenkundig bewährt, dass die Kampagnen und Netzwerke der christlichen Rechtspopulisten Namen tragen, die ihre ideologische Herkunft auf den ersten Blick nicht verraten, etwa "Zivile Koalition e.V.", "Initiative Familienschutz" oder "Demo für alle". Inhaltlich stehen dahinter die gleichen Denkweisen, mit denen christliche Glaubensstreiter schon seit Jahrzehnten gegen den ach so liberalen Zeitgeist ankämpfen. Neu daran ist nur, dass sie dank der veränderten Kommunikationsstrategie auch außerhalb des rechten christlichen Spektrums Gehör finden.
 

Das Modell der "heiligen Familie"

Die "Demo für alle", maßgeblich initiiert durch die AfD-Vizevorsitzende Beatrix von Storch, kämpft gegen die vermeintliche "Übersexualisierung der Jugend" und hat Zehntausende dazu gebracht, gegen den Sexualkundeunterricht in Baden-Württemberg zu demonstrieren…

Auch dies ist ein altes Kampfgebiet der christlichen Rechten. Der Sexualkundeunterricht ist ihnen schon lange ein Dorn im Auge. Gegen freizügige Filme oder harmlose Aufklärungsserien der Jugendzeitschrift "Bravo" laufen sie seit Jahrzehnten Sturm. In ihren Vorstellungen von "moralischer Sittlichkeit" unterscheiden sich die rechten AfD-Christen nur wenig von strenggläubigen Muslimen.

Wie Islamisten leiden auch AfD-Christen unter massiver Homophobie. Sie fühlen sich von der sogenannten „Schwulenlobby“ bedrängt und beklagen den sogenannten „Genderwahn“…

Innerhalb ihres Denkmodells ist das absolut verständlich, denn die religiöse Ideologie beruht auf der strikten, vermeintlich "gottgewollten" Unterscheidung der Geschlechter. Im Modell der "heiligen Familie" gibt es einen Mann und eine Frau, die selbstverständlich heterosexuell sind und zu Ehre Gottes Kinder zeugen, die sie im Sinne des tradierten Wertekanons erziehen. Für sexuelle Zwischenformen und alternative sexuelle Orientierungen gibt es in dieser Sichtweise keinen Platz.

Wie ist es Storch & Co. gelungen, so viele Menschen für den Protest zu mobilisieren?

Im christlich-konservativen Spektrum gibt es seit jeher ein beachtliches Reservoir an Menschen, die von der sogenannten "sexuellen Revolution" überfordert sind. Zudem muss man den Verantwortlichen der "Demo für alle" zugestehen, dass sie recht geschickt agiert haben, um ihr Weltbild unter die Leute zu bringen. Ein kluger Schachzug war es zum Beispiel, dass sie sich auf eine besondere Gruppe von "Gender-Forscherinnen" einschossen, die das biologische Geschlecht als "kulturelle Konstruktion" verstehen. Da ein derart radikaler Kulturismus wissenschaftlich betrachtet Humbug ist, erhielten die religiösen "Genderkritiker" partiell Rückendeckung von Biologen, die mit guten Gründen auf die biologischen Wurzeln der Geschlechterunterschiede hinweisen. Allerdings – und das ist die eigentliche Pointe dieser Geschichte – hebt die naturwissenschaftliche Argumentation den christlichen Anti-Genderismus im entscheidenden Punkt wieder auf: Denn selbstverständlich lassen sich auch Homosexualität und Transsexualität auf biologische Faktoren zurückführen, was die rechtskonservative Angst vor der angeblich gefährlichen "Schwulenpropaganda" ad absurdum führt! Angesichts der biologischen Faktenlage ist es schlicht wahnhaft, zu glauben, dass ein weltoffener Sexualkundeunterricht oder die sogenannte "Gender-Ideologie" Menschen in Schwule oder Transsexuelle verwandeln könnte, sofern sie eine solche Veranlagung nicht ohnehin schon in sich tragen. Dass die "Internationale der Reaktionäre" von der Tea Party-Bewegung über die Front National bis hin zur AfD einer solchen Wahnidee anhängt, verrät viel über den bedauerlichen Geisteszustand dieser Leute.
 

Die "Internationale der Reaktionäre"

Sie haben die "Internationale der Reaktionäre" angesprochen. Gibt es Verbindungen zwischen den einzelnen Gruppierungen und wie ist das AfD-, PEGIDA-, "Demo für alle"-Spektrum international einzuordnen?

Natürlich gibt es Verbindungen. Die "Demo für alle" zum Beispiel war eine Übernahme einer Aktion der Front National, die in Frankreich in Kooperation mit rechten kirchlichen Kreisen etwa 100.000 Personen auf die Straße brachte, um gegen die gleichgeschlechtliche Ehe zu demonstrieren. Vor allem über Beatrix von Storch verfügt die AfD über beste Kontakte zu extrem konservativen katholischen und evangelikalen Netzwerken. Bemerkenswert ist dabei, wie reibungslos die Zusammenarbeit in diesem Spektrum über alle Konfessionsgrenzen hinweg funktioniert. Offenbar haben sich die Reaktionäre aller Länder im Kampf gegen den liberalen Zeitgeist vereinigt: Russisch-orthodoxe, katholische und evangelikale Ultras verfolgten nahezu die gleiche rückwärtsgewandte Agenda und so ist es letztlich fast egal, ob ihre politischen Gallionsfiguren Donald Trump, Vladimir Putin, Viktor Orbán, Jarosław Kaczyński, Marine Le Pen oder Frauke Petry heißen.

Verbirgt sich hinter der AfD so etwas wie eine deutsche Tea Party-Bewegung?

Es gibt deutliche Parallelen. Wie die amerikanische Tea Party-Bewegung startete die AfD zunächst mit einem wirtschaftsliberalen Programm und entwickelte sich dann mehr und mehr in Richtung des christlichen Rechtspopulismus. Wie die Tea Party hat sich auch die AfD auf das Modell der christlichen Normfamilie eingeschworen und für ein radikales Verbot von Abtreibung und Sterbehilfe stark gemacht. Normalerweise kann man mit einem solch rigiden "No Sex, No Drugs, No Rock’n Roll!"-Programm in Deutschland keinen Blumentopf gewinnen, aber bislang haben nur wenige hinter die Fassade dieser Partei geschaut. Ich hoffe, dass sich das allmählich ändern wird. Bei genauerer Betrachtung sollte den allermeisten klar sein, dass die AfD keine "Alternative für Deutschland" ist, sondern allenfalls eine "Alternative für Doofe" bzw. eine "Alternative für Desinformierte".

Haben Sie denn überhaupt kein Herz für Protestwähler?

Nun ja, ich kann durchaus nachvollziehen, dass Bürgerinnen und Bürger kein allzu großes Vertrauen mehr in die etablierten Parteien haben, die – auch das ist eine wirkungsvolle Halbwahrheit der AfD –an den Interessen der Bevölkerung oft vorbeiregieren. Aus diesem Grund sollte jedoch niemand in die Verlegenheit kommen, ausgerechnet die AfD zu wählen! Für Protestwähler gibt es, sofern sie kein besonderes Faible für chauvinistische, christlich-fundamentalistische Positionen haben, deutlich bessere Alternativen, etwa die Partei der Humanisten, die den unbestreitbaren Vorteil hat, dass sie tatsächlich jene säkularen Positionen vertritt, die der AfD fälschlicherweise unterstellt wurden.

Herr Schmidt-Salomon, vielen Dank für das Gespräch!

Die Meldung auf dem Portal des Humanistischen Pressedienstes, bei dem das Interview zuerst erschienen ist.